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Von Hindernissen und Chancen

„Meine Behinderung hat mich nie aufgehalten, meinen eigenen Weg zu gehen! Die einzige Person, die weiß, ob ich etwas schaffen kann, bin ich selbst.“ Mit Einsatzbereitschaft und Willen zum Erfolg legte Nicolai Spatz eine beachtliche Karriere hin. Nach seinem Masterstudium im Studiengang Landwirtschaft und Umwelt an der TH Bingen nahm er eine Stelle beim hessischen Umweltplanungsbüro TNL Energie GmbH an – und zwar draußen auf der Baustelle.

© TNL Umweltplanung Nicolai Spatz lehnt mit leuchtend gelber Warnjacke und Stöcken an einem Pfosten, über den ein weißer Helm gestülpt ist

Wenn Nicolai Spatz von seiner Arbeit erzählt, erntet er nicht selten ungläubige Blicke. Unbewusst vermuten viele Menschen, dass er aufgrund seiner eingeschränkten Beweglichkeit einen Schreibtischjob im Büro ausübt. Weit gefehlt! Mit Begeisterung und fachlichem Know-how unterstützt Spatz seinen Chef auf der Baustelle. Eine überwiegend sitzende Tätigkeit wäre nichts für ihn. Die Bewegung an der frischen Luft tut ihm gut, fördert seine Gesundheit und motiviert ihn, sein Bestes zu geben.

Dabei war sein Karriereweg keineswegs vorgezeichnet. Zunächst musste er sich sowohl im schulischen als auch im gesellschaftlichen Umfeld orientieren und zurechtfinden. Nur durch Beharrlichkeit konnte sich Spatz gegen kritische Stimmen durchsetzen, die ihm davon abrieten, überhaupt die Hauptschule zu besuchen. Doch er ließ nicht locker. Nach seinem Hauptschulabschluss besuchte er eine Wirtschaftsschule und absolvierte danach sein sozialwissenschaftliches Abitur.

Drei Jahre später hatte Spatz sogar einen Bachelorabschluss im Studiengang Umweltmanagement der Justus-Liebig-Universität in Gießen in der Tasche. Für den Master zog es ihn schließlich an die Technische Hochschule Bingen, wo er sein Studium in Landwirtschaft und Umwelt unter der Leitung von Prof. Dr. Elke Hietel in der Regelstudienzeit absolvierte. Anders als in den Anfängen seiner Schulzeit wurde ihm an der TH Bingen nicht erzählt, was er könne und was nicht.

Mit seiner Geschichte möchte Nicolai Spatz Mut machen. Es stimmt ihn traurig, wenn er sieht, wie viele Menschen mit Behinderung die Förderschule nicht einmal mit einem Hauptschulabschluss verlassen. Seiner Meinung nach ist ein Umdenken erforderlich. So mancher Arbeitgeber aber auch Bildungsträger sieht zuerst Probleme und Hindernisse.

Wie es anders geht, zeigen die TH Bingen und die TNL Energie GmbH. An der TH Bingen machten ihm Lehrkräfte, Kommiliton*innen und Mitarbeitende Mut, seinen Weg zu gehen. Sie gingen pragmatisch an die Sache heran. Die TNL Energie GmbH musste erst die behördlichen Herausforderungen meistern und Genehmigungen einholen. Doch auch sie ließ sich nicht entmutigen. „Ich habe Nicolai als hochmotivierten Menschen kennengelernt, der die Begeisterung für unseren Beruf teilt. Wir geben ihm die Möglichkeit, seine Stärken in den Interaktionen zwischen verschiedenen Akteuren und der Natur zu nutzen und weiterzuentwickeln", so seine Vorgesetzte Jennifer Herschbach. Den Fokus auf die Menschen zu legen und ihre Talente zu sehen, ist das, was es braucht, glaubt auch Spatz.

Genau diesem Perspektivwechsel hat sich die TH Bingen verschrieben. „Wir sind vielleicht nicht von vorneherein auf alles eingestellt“, so Stefan Bastiné, Beauftragter für Studierende mit Behinderung an der TH Bingen. „Aber wir nehmen jeden Menschen, so wie er ist. Dann schauen wir, wie wir ihn bestmöglich unterstützen können. Manchmal müssen wir Raumpläne ändern oder Geräte anschaffen. Diese Flexibilität im Kopf und im Alltag machen uns – und die Hochschule – jeden Tag ein Stückchen besser.“

Frischer Wind weht auch Nicolai Spatz jeden Tag auf der Baustelle um die Nase. Flexibilität, Engagement und Beharrlichkeit haben ihn dorthin gebracht, wo er heute ist. Wir wünschen Nicolai Spatz alles Gute für seinen weiteren Karriere- und Lebensweg und sind stolz, ihn zu unseren Alumni zählen zu dürfen.

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